30. September - 01.Oktober 2021

„Die neuen Multilateralismen“ Nichtöffentlicher Fachaustausch

Unter dem Titel „Die neuen Multilateralismen“ fand am Donnerstag, dem 30. September 2021 und Freitag, dem 01. Oktober 2021 der zweite – und erste in Präsenz abgehaltene – Fachaustausch der Studiengruppe des Forschungsprojektes „Multilateralismus weiterdenken“ in den Räumlichkeiten der Schader Stiftung in Darmstadt statt. Ziel der zweitägigen Konferenz im Rahmen des von der Friede Springer Stiftung geförderten Projekts war es, Multilateralismus im Plural weiterzudenken und hierbei unterschiedliche globale Verständnisse von Multilateralismus zu rekonstruieren.


Stellvertretend für die Vielfalt der Multilateralismus-Konzeptionen wurden die Vorstellungen Chinas, Russlands und der USA ins Zentrum der Diskussion gerückt. Dabei wurde der Frage nachgegangen, ob in einer zunehmend fragmentierten Welt konkurrierende und sich scheinbar ausschließende Multilateralismus-Verständnisse noch miteinander anschlussfähig sind. 

In hybrid gestalteten Diskussionsabschnitten schalteten sich per Videokonferenz externe Experten und Moderatorinnen zu: Zunächst lieferten unter der Moderation von Dr. Liana Fix (Körber-Stiftung, Hamburg) Dr. Alexey Gromyko (Europa-Institut der Russischen Akademie der Wissenschaften, Moskau) und Prof. Charles A. Kupchan (Georgetown University und Council on Foreign Relations, New York) anregenden Input über die russischen und US-amerikanischen Perspektiven auf den Multilateralismus. Am zweiten Konferenztag gaben Michael Kahn-Ackermann (China-Berater Stiftung Mercator sowie Übersetzer von „Alles unter dem Himmel“ von Tingyang Zhao) und Prof. Dr. Dr. Nele Noesselt (Universität Duisburg-Essen) unter der Gesprächsführung von Prof. Dr. Heike Holbig (Goethe-Universität Frankfurt) Impulse zu chinesischen Perspektiven. 

Multilateralismus als Mittel oder Zweck? Perspektiven aus Russland und den USA

Mit Blick auf die russischen und US-amerikanischen Perspektiven wurden zunächst grundsätzliche Fragen nach Eignung und Nutzen des Multilateralismus-Begriffs sowie dessen Beziehung zu anderen Konzepten aufgegriffen: Inwiefern ist der Multilateralismus ein „leerer Signifikant“? In welchem Verhältnis steht der Multilateralismus zu verschiedenen Regierungsformen? Welcher Zusammenhang besteht zwischen unterschiedlichen Souveränitätskonzeptionen und Multilateralismus-Vorstellungen und welche Bedeutung gewinnt Vertrauen im Kontext des Multilateralismus? 

Darüber hinaus wurden insbesondere die Spielräume und sich aus diesen ergebende Möglichkeitsräume der amerikanischen und russischen Sichtweisen ausgelotet: Die Frage der In- und Exklusivität multilateraler Formate verknüpfte sich mit Fragen nach deren Interessen- und/oder Wertegebundenheit – sollte Multilateralismus als Werkzeug und/oder Ordnungsprinzip verstanden werden, ist Multilateralismus als Mittel oder als Ziel zu definieren und welche Sichtweise dominiert unter den außenpolitischen Entscheidungsträgern Russlands und der USA?

China – Zwischem „echtem“ und “falschem“ Multilateralismus

Ein weiterer zentraler Diskussionspunkt war die Attraktivität unterschiedlicher Multilateralismus-Konzeptionen, ihre Schnittmengen und Unterschiede im Kontext ihrer Legitimität (Input-, Output-Legitimität, Effektivität, Partizipation etc.) auf unterschiedlichen Ebenen. „Multisektoralität“ war hierbei der zentrale Begriff, der jene Bemühungen beschrieb, die notwendig sind, über diese verschiedenen Bereiche hinweg eine Zusammenarbeit zu organisieren. Hier zeigte sich, dass die nicht zuletzt aus der innenpolitischen Polarisierung der USA resultierende Schwierigkeit der Ratifizierung völkerrechtlich verbindlicher Arrangements den Trend hin zu kleinformatigen, flexiblen und informellen multilateralen Arrangements befördert. Zwar wird diesen Formaten allgemein eine höhere Effektivität unterstellt, allerdings zulasten der Legitimität und der Gefahr, möglicherweise globale Zusammenhänge zu vernachlässigen. Vor dem Hintergrund eines fehlenden (neuen) Ordnungsbegriffs und divergierenden Vorstellungen globaler Ordnung stellte sich schließlich die Frage, ob – wenn derart zahlreiche Facetten gleichermaßen unter „Multilateralismus“ gefasst werden – der Begriff des Multilateralismus selbst überhaupt noch einen analytischen Mehrwert bietet bzw. nicht eher Missverständnisse befördert, wenn darunter fundamental unterschiedliche Handlungsansätze gemeint sind.

Besonders deutlich zeigte sich diese Problematik im Austausch über die Perspektiven Chinas: in der Analyse der Aneignungsprozesse eigentlich als „genuin westlich“ gesehener Begriffe in der Außenpolitik Chinas (wie etwa der zuletzt verstärkt durch offizielle chinesische Stellen gezogenen Unterscheidung von „echtem“ und “falschem“ Multilateralismus) rückte die Frage nach der Intentionalität der eigenen Begriffsdeutungen und -aneignungen mit Blick auf eine möglichen Diskursmacht/-hegemonie sowie die generelle Problematik der Übersetzung und/oder Übernahme westlicher Konzepte vor dem Hintergrund der Geschichte und Trennung der politischen Sphären Chinas ins Zentrum. 

Trennende und verbindende Multilateralismen

Dabei entwickelte sich die Diskussion zu einer Grundsatzdebatte über den Umgang mit trennenden sowie verbindenden Elementen „westlicher“ und „östlicher“ Diskurse. Lässt sich Multilateralismus so gestalten, dass er systemübergreifend wirken kann und wenn ja, wie? Welche verbindenden Narrative lassen sich feststellen; und welche Rolle soll und kann die Betonung eines Systemantagonismus – eines „Othering“ – zwischen Kohärenz- und Blockbildung sowie Wettbewerb bei gleichzeitiger Verflechtung, spielen? 

Insgesamt ermöglichte die Diskussion unter den TeilnehmerInnen der Forschungs- und Studiengruppe aus unterschiedlichen Wissenschaftsdisziplinen eine produktive Irritation von Substanz, Unterscheidungen und Mehrwert diverser Verständnisse von Multilateralismus wie auch der Tatsache, dass es um der Verständigung über globale Prozesse willen wichtig ist, sich dieser unterschiedlichen Gebrauchsweisen zu vergewissern.

Weitere Informationen zu der Veranstaltung finden Sie auch auf der Seite der Schader Stiftung.