Von Internationaler Politik zur Übersetzungspolitik? Herausforderungen an das institutionelle Design eines kommunikativen Multilateralismus


Globale Probleme erfordern globale Lösungen – doch die praktische Umsetzung dieses Gemeinplatzes internationaler Politik scheitert selbst zwischen gleichgesinnten Akteuren allzu oft an Koordinierungsproblemen und Fragen von Formaten und Foren. Die konflikthafte Beziehung zwischen China und den USA dagegen steht noch vor einer ganz anderen Herausforderung: obwohl beide vorgeben, im Sinne eines zumindest scheinbar geteilten Multilateralismus zu handeln, fehlt es grundlegend an einer gemeinsamen Basis für Kommunikation und Kooperation. Um den beiden für das globale Problemlösen „unabdingbaren Nationen“ das Erlernen von Modi internationaler Koexistenz zu erleichtern braucht es multilaterale Institutionen, die in der Lage sind, auch ohne den rekursiven Zugriff auf geteilte Erfahrungen produktive Zusammenarbeit zu ermöglichen. 



Die Evidenz alltäglicher Phänomene zeichnet sich prima facie dadurch aus, dass diese eben genau als offenbareEreignisse erlebt werden: Die Dinge sind so, weil sie so sind und sie erlangen ihre Selbstverständlichkeit sowie Unerschütterlichkeit aus gerade ihrer vermeintlich beständigen Wiederkehr. So haben sich auch in einer Gegenwart, in der alte und neue Weltbilder zunehmend miteinander in Gegnerschaft geraten und dabei gegenseitig irritieren, diese Erschütterungen noch längst nicht bis hin zu den alltäglichen Grundannahmen über die Verfasstheit dieser Konflikte durchgeschlagen.

Auch dort, wo eine steigende politische Polarisierung in (meist territorial verstandenen) Gesellschaften als ein steter Trend beobachtet wird, ist oft schnell klar, entlang welcher Trennlinien die verschiedenen Lager verlaufen. Oft sind es dann deren zwei; manchmal wird ein drittes Lager als Residualkategorie mitgeführt. Ebenso klar ist dabei zumeist, ob man deren Vertreter in der Folge voneinander trennen oder vermitteln sollte.

Hier wird dann klar, auf welchem vermeintlich selbstverständlichen Grundbestand aller sozialen und damit politischen Verhältnisse aufgebaut wird: der Kommunikation. Als deren Grundmodell wird oft eine Konstellation angenommen, in der in aller Regel klar ist, worüber gesprochen wird und in der Verstehbarkeit höchstens durch ein gewisses Rauschen – etwa in Form der oft zitierten „Kakophonie“ – gestört werden kann. Man kann infolgedessen eindeutige Positionen zuschreiben, kann den Vertretern dieser dann raten, dass diese miteinander reden müssten, um sich besser zu verstehen oder dies doch besser lassen sollten, weil man sich sonst „zu gut“ verstehen könnte.

Der Nutzen solcher Ratschläge lässt sich nicht in Abrede stellen und doch fehlt selbst bei differenzierten Betrachtungen von (politischer) Kommunikation häufig die Einsicht in ein altes Diktum: „Man kann nicht nicht kommunizieren!“ (Paul Watzlawick). Eine Einsicht, die auf der reinen Ausdrucksebene vielleicht immer noch obskur anmuten mag, die dies auf inhaltlicher Ebene aber schon lange nicht mehr ist. 

Im Zeitalter globaler Vernetzung und der damit prinzipiellen Erreichbarkeit einer jeden durch jeden, kann zum einen nur noch von einer Weltgesellschaft die Rede sein. Zum anderen verweist dies auf den zentralen Umstand, dass der Fluss von Kommunikation und damit Information, endlos ist und dass auch die Prozesse von deren Interpretation sowie Vermittlung nicht abreißen können. Es geht immer weiter, selbst wenn man dies nicht will. Man könnte höchstens aus diesem immer schon laufenden Spiel aussteigen; doch nur um den hohen Preis der totalen Isolation und damit Abgeschnittenheit. Doch es gibt nun mal keinen vollständigen Ausstieg aus der Weltgesellschaft und vor allem gibt es aus manchen weltgesellschaftlichen Formationen gar keinen Absprung mehr, wenn man sich erst mal auf diese eingelassen hat.

„Unsere Sprache“, so schlug es bereits Ludwig Wittgenstein für eines der ursprünglichsten Medien dieser kommunikativen Prozesse vor, „kann man ansehen als eine alte Stadt: Ein Gewinkel von Gässchen und Plätzen, alten und neuen Häusern, und Häusern mit Zubauten aus verschiedenen Zeiten; und dies umgeben von einer Menge neuer Vororte mit geraden und regelmäßigen Straßen und mit einförmigen Häusern.“ Zumeist bewegen wir uns in dieser Stadt in der eingangs beschriebenen Selbstverständlichkeit. Wir mögen einige Renovierungen und Neubauten entdecken, doch die Umgebung behält zumeist ihr vertrautes Gesicht.

Wäre man hingegen ein Neuankömmling, so sollte man sich besser einen Stadtplan besorgen. Dennoch gibt es auch dann immer noch nicht den einen Weg diese Stadt zu betreten und zu erkunden. Und, wenn man einmal angekommen ist, steht es einem auch offen, neue Stadtteile anzubauen oder bestehende umzuformen. Die Mitbewohner werden all diesem mit Anerkennung, Ablehnung oder Gleichmut begegnen.

In der „Weltstadt“ der internationalen Politik scheint diese Rolle eines Neuankömmlings derzeit China zuzufallen. Mit seiner jüngst erlangten wirtschaftlichen Quasi-Parität mit den USA und seinem zunehmenden Engagement in der Entwicklungs- und Infrastrukturpolitik, findet sich die Volksrepublik in einer Vielzahl von neuen und für chinesische Entscheidungsträger ungewohnten Situationen wieder. Herausforderungen wie der Umgang mit der eigenen Rolle als Ursprungsort der Covid-19-Pandemie, zunehmender Druck zu mehr Engagement gegen die Klimakrise und die wachsende Wahrnehmung einer „Einkreisung“ durch US-geführte Institutionen wie AUKUS oder „Quad“, erfordern von der chinesischen Führung konfliktträchtige Richtungsentscheidungen. Gleichzeitig betreibt Beijing eine sehr aktive Expansions- sowie eine Form der Entwicklungspolitik, die es ebenso in neue Konfliktsituationen mit anderen Akteuren und etablierten Verfahrensweisen bringt.

Chinas Handeln wird dabei nicht selten unter das Narrativ „aufsteigender Staaten“ und deren vermeintlich typischen Verhaltens subsumiert: Statusstreben, territorialer Revanchismus, aggressive Rhetorik und militärische Aufrüstung stellen demnach eine geradezu zwangsläufige Konsequenz aus den relativen Kräfteverhältnissen dar. Doch auch gegenläufige Darstellungen Chinas als eines gerade eben nicht für irgendetwas „typischen“ Akteurs sui generis, der notwendigerweise eine für Außenstehende kaum nachvollziehbare Außenpolitik „mit chinesischer Charakteristik“ verfolgt, bringen Probleme mit sich, die über die üblichen Makel essentialisierend-orientalistischer Sichtweisen hinausgehen.

Unabhängig davon, dass diese vermeintlich verständnisvolle Auslegung Gefahr läuft, eine kaum die Verständigung fördernde Sicht auf China als das „Andere“ zu festigen, kommt sie paradoxerweise oft auch gerade einer chinesischen Führung zugute, die zwar öffentlich mit postkolonialer Rhetorik „anti-chinesische“ Ressentiments anprangert, insgesamt aber möglicherweise auf die willkommenen Rückzugsräume setzt, die sich durch diese für sie ergeben: denn wer die Spielregeln „nicht kennt“, wer nicht anders „kann“, dem können auch keine Verfehlungen vorgeworfen werden. 

Chinas Gegenüber stehen also vor der Schwierigkeit, keine ausreichenden Erfahrungswerte im Umgang mit einer Supermacht China zu haben – und zwar in einem doppelten Sinne: Zum einen sind weder die Gesellschaft, noch das politische System Chinas für Entscheidungsträger in Außenministerien, Botschaften oder internationalen Organisationen derart transparent, dass es ihnen verlässliche Einschätzungen über dessen zukünftiges Handeln erlaubt. Zum anderen verfügt im Angesicht einer zunehmend „multipolaren“ Weltordnung niemand über Erfahrungen, die über die Berücksichtigung der Interessen mehrerer größerer Mächte in der Organisation internationaler Kooperationen jenseits einer bipolaren Konstellation hinaus reichen. Und auch dieses Wissen besteht, wenn überhaupt noch, nur in Form institutionell sedimentierter Erinnerungen. 

Doch die letzten Jahrzehnte des Kalten Krieges in der Folge der Schlussakte von Helsinki 1975 zeigten – trotz aller auch danach noch folgenden Konfrontationen – einen Weg auf, der es den beiden Mächten erlaubte, gegenseitig zwar nicht die Legitimität des jeweils anderen politischen Systems, aber doch wenigstens die Realität der sich bietenden Mächtekonstellation und ihrer im Vergleich zu anderen Akteuren, singulären Rolle anzuerkennen und entsprechend mehr oder minder im Sinne dieser Verantwortung zu handeln. Zwar befinden sich derzeit mit dem KSE-Vertrag und dem Vertrag über den offenen Himmel zentrale Pfeiler dieser Ordnung in einer existentiellen Krise, diese betrifft aber nicht grundlegend die hinter diesen – historisch gewachsenen und damit kontingenten – Vertragswerken stehenden, vermeintlich transzendenten, Prinzipien von Transparenz oder friedlicher Koexistenz.

So zeigt sich auch im Angesicht eines Russlands als „wiederaufsteigende Macht“, dass grundlegend gleiche Modi der Konfliktlösung immer noch in der DNA der politischen Beziehungen eingelassen sind. Forderungen wie etwa die nach einem „neuen Konzert der Mächte“ (Charles Kupchan) oder einem „Helsinki 2.0“ (Alexy Gromyko) liegen lediglich in ihrem Detailgrad, aber nicht der Stoßrichtung einer klassischen Konferenzdiplomatie auseinander.

Doch anders als vor 30 Jahren stellt nicht mehr die bipolare Dyade Russland – USA die Grundkonstellation für Verhandlungen um eine kooperative(re) internationale Politik dar. Entscheidender ist mittlerweile – neben einer generellen Erweiterung der Zahl relevanter Akteure – insbesondere der Aufstieg Chinas in den Kreis der „unentbehrlichen Nationen“. Und hier zeichnet sich bislang kein vergleichbarer Modus internationaler Koexistenz ab. Ganz im Gegenteil, weder spricht man mit einer Stimme, noch mit einer Sprache im oben genannten Sinne und bewohnt somit auch nicht die gleiche Stadt, will heißen, man teilt offenbar auch nicht die gleiche Realität. 

Anders als zu Zeiten des Helsinki-Prozesses scheinen nun beide Seiten auch keine Anstrengungen zu unternehmen, zu einer solchen gemeinsamen Sprache, einer kompossiblen Wahrnehmung (zurück) zu finden – und das, obwohl sich die Erfahrungen aus Helsinki als Vorbild anbieten und die grundsätzliche Möglichkeit eines solche Unterfangens belegen. 

Dabei bietet sich einem flüchtigen ersten Blick hinsichtlich der drängenden Fragen globaler Kooperation trotz allem ein sich geradezu aufdrängender gemeinsamer Nenner an. Sowohl Präsident Biden als auch Präsident Xi präsentieren sich gerne öffentlichkeitswirksam als „Champions des Multilateralismus“: Wo der eine die „Fackel des Multilateralismus“hochhält, um der Menschheit den Weg nach vorne aufzuzeigen, beruhigt der andere einst verprellte Verbündete, dass mit ihm das Trump'sche Intermezzo amerikanischen Unilateralismus der Geschichte angehöre.

Nun wäre es einfach – und vielleicht sogar verlockend – Chinas Nutzung des Begriffes als reine politische Rhetorik abzutun. Als autoritäre Augenwischerei eines Staates, der nach üblichem Verständnis eben so wenig multilateral nach außen handelt, wie er nach innen (volks-)demokratisch verfasst ist. Beruhigender als die alternative Sichtweise eines China, das den Begriff – oder schlimmer, ein eigenes, substanzielles Multilateralismus-Verständnis – gewissermaßen als „trojanisches Pferd“ nutzt, um die Institutionen der liberalen Weltordnung gegen diese selbst und ihre Initiatoren zu verwenden ist dies allemal. Doch selbst wer nicht gewillt ist, China mehr als nur eine zynische Aneignung eines hehren Prinzips zu unterstellen, muss sich unweigerlich fragen – warum genau dieses? Was macht den Multilateralismus so verlockend als zentralen Begriff chinesischer Außenpolitik? 

Die Übernahme eines „westlichen“ Konzeptes in die Reden eines chinesischen Staatsoberhauptes und auch den internen Diskurs der außenpolitischen Elite Chinas stellt dabei tatsächlich eher die Regel als eine Ausnahme dar. Entgegen landläufigen Bildern eines beinahe ausschließlich selbstreferentiellen Systems, das sich selbst als einzigartiges „Reich der Mitte“ ansieht und zu anderen Staaten spezielle Beziehungsformen nach Art der Tributsysteme vergangener Dynastien – heute mit „debt diplomacy“ statt Edelmetalltransfers – unterhält, hat die bewusste Selbstdarstellung Chinas als „ganz normaler“ Staat durchaus Tradition. Beginnend mit Mao´s Anknüpfen an den (westlich-universalistischem) Marxismus-Leninismus, über die langjährige Identifikation als „Entwicklungsland“ unter vielen bis hin zur Betonung von „Pluralismus“ und dem Hochhalten von Souveränität und der alleinigen Legitimität des UN-Sicherheitsrates als Durchsetzungsorgan internationaler Konfliktlösung: alle diese zentralen Leitlinien chinesischer Außenpolitik stellen in gewisser Weise einen Re-Export übernommener Begriffe und Werte dar. 

Das impliziert aber keinesfalls eine simple Übernahme oder oberflächliche Nachahmung importierter Konzepte. Vielmehr muss China hier eine aktive Übersetzungsarbeit und Begriffsbildung zunächst nach innen und dann nach außen leisten. Einerseits muss das Vokabular des „globalen Spiels“ und seine „korrekte“ Nutzung erlernt werden. Doch unreflektiertes Anwenden lediglich in einem lexikalischen Sinne „übersetzter“ Begriffe birgt das allzu bekannte Risiko von Missverständnissen. Um diesen vorzubeugen, muss übernommenes Vokabular gleichzeitig mit den bereits vorhandenen eigenen Weltverständnissen in einer Weise gekoppelt werden, die ihn für diese anschlussfähig macht, ohne aber den Sinngehalt des Begriffes so weit zu verzerren, dass dieser in der Kommunikation mit dem Ursprungssystem nicht mehr erkannt wird. 

Dabei greift es aber zu kurz, ausschließlich China einen „falschen“ Gebrauch des Multilateralismus vorzuwerfen, sei es nun ein kalkuliertes Instrumentalisieren des Begriffes oder ein genuin anderes Verständnis. Auch in der amerikanischen Multilateralismus-Renaissance werden nach nicht einmal einem Jahr Brüche sichtbar, die darauf schließen lassen, dass auch das Biden'sche Verständnis von internationaler Kooperation nicht nur mehr mit dem seines Vorgängers gemein hat als angesichts der resoluten Abgrenzung zu erwarten wäre, sondern auch wenig mit dem zu tun hat, worauf die jüngsten Versuche einer Kodifikation des „wertebasierten, inklusiven und effektiven Multilateralismus“ im Weißbuch Multilateralismus der Bundesregierung abzielen. Vielmehr geben sich die USA mit ihrem wenig diplomatischen Vorgehen rund um das neue AUKUS-Bündnis, dem unkoordinierten Abzug aus Afghanistan und ihrem Umgang mit Reisebeschränkungen und „Impfdipolomatie“ Blößen, die chinesische Ankläger eines „falschen“ Multilateralismus nur zu gern aufgreifen. 

Chancen, beide Seiten auf einen weniger konflikträchtigen Pfad zurückzuführen, liegen weniger in der oberflächlichen oder instrumentalisierenden Nutzung des Multilateralismus-Begriffes, sondern vielmehr in dessen substanziellen Gehalt: Multilateralismus nicht verstanden als ein Code für eine multipolare Weltordnung oder ein Bekenntnis zu bereits existierenden Institutionen, sondern als ein Prinzip, das – im Sinne eines „leeren Signifikanten“ (Ernesto Laclau) – neue Möglichkeitsräume für Kommunikation auch zwischen Konkurrenten und Gegnern ermöglicht. Die besondere Schwierigkeit besteht hierbei jedoch darin, dass China kein weitestgehend transaktionskostenfreier, da nur geringfügige Übersetzungsleistungen erfordernder, Zugriff auf geteilte Erfahrung eines für alle zumindest erträglichen Modus Vivendi vergleichbar dem der Dyade USA-Russland möglich ist.

Multilaterale Formate, die geeignet sind, diese Herausforderung anzugehen müssen in der Lage sein, China in einer kognitiven, aber keinesfalls politisch voraussetzungsfreien Weise einzubinden. Das bedeutet nicht, in einen komplett offenen Dialog zu treten, in dem keine eigenen politischen „roten Linien“ und Werte das Feld des Möglichen begrenzen. Aber es setzt voraus, dass Formate und Handlungsweisen keine zusätzlichen, über die inhaltlichen Differenzen hinausgehenden, Hürden auf den Weg zu einer Einigung, so klein deren gemeinsamer Nenner auch sein mag, darstellen dürfen. 

Ein so verstandener Multilateralismus mag im Einzelfall bedeuten, alternative, nicht durch starke Assoziationen mit einzelnen Staaten oder Institutionen „belastete“ Foren zu nutzen oder diese neu zu schaffen. Grundsätzlich erfordert er, die eigenen demokratischen Überzeugungen in einem prozessualen Sinne ernst zu nehmen und konsequent – gerade gegenüber nicht-demokratischen Akteuren wie China – anzuwenden. Denn die Aushandlungs- und Abstimmungsprozesse, die für einen solchen „kommunikativen“ Multilateralismus unerlässlich sind, können ohne Prinzipien wie etwa die grundsätzliche Offenheit für alle interessierten Akteure sowie deren gleichwertige Behandlung kaum funktionieren. Multilaterale Formate und Institutionen müssen so entworfen werden, dass sie in fortlaufenden Übersetzungsprozessen ein – manchmal sogar unfreiwilliges – adaptives Lernen im Umgang miteinander ermöglichen und damit „Neuankömmlinge“ zumindest etwas von der Bürde ihrer fehlenden Erfahrungen entlasten. 

Diese Entlastung ist dabei keinesfalls im Sinne einer uneigennützigen Arbeitserleichterung von andernorts als Konkurrenten auftretender Staaten zu verstehen, sondern dient der Senkung der Transaktionskosten in von gemeinsamen globalen Herausforderungen diktierten unumgänglichen Interaktionen mit diesen. In einer geteilten Sprache über eine geteilte Wirklichkeit zu sprechen und damit in der gleichen „Weltstadt“ zu leben ist keinesfalls gleichbedeutend damit, in Diskussionen über deren „städtebauliche Gestaltung“ auch die gleichen Ansichten zu vertreten – aber es ist die Voraussetzung dafür, erkennen zu können, wo sich inmitten aller Differenzen doch vereinzelt Anknüpfungspunkte finden lassen.

Beobachtet man Multilateralismus so nicht in erster Linie als eine Vision, einen Wert oder ein Ziel, sondern vor allem als ein aufscheinendes Erfolgsmedium weltpolitischer Kommunikationsprozesse, so zeigt sich, dass dieser offenbar (immer noch) ausreichend Ausstrahlungspotential birgt, um einen Austausch über globale Ordnungsfragen zu ermöglichen. Unter diesem Begriff scharen sich offenbar noch immer viele Sprecher:innen, die jene Ordnung darauf hin betrachten, ob dieses gemeinsam oder im Alleingang gestaltet werden kann oder soll. So lässt dieser Multilateralismus die Weltstadt der Internationalen Beziehungen dann zwar nicht als „ewige Stadt“ erscheinen.  Als ein gemeinsam gestalteter City Guide – samt seinen dabei immer wieder notwendig werdenden Neuauflagen – weist er aber den Weg zu den vielen gemeinsamen Foren der zahllosen, heterogenen Stadtviertel. Dort bietet sich schließlich die Möglichkeit eines beständigen, Übersetzungen ermöglichenden und dabei Vertrauen aufbauenden Austauschs mit dem Ziel der friedlichen Ko-Existenz.


Bildnachweis: Marco Verch | ccnull.de | CC-BY 2.0
Previous
Previous

Multilateralismus-Debatten im Schatten von Weltordnungskontroversen: Globaler Multilateralismus statt Multipolaritätsvisionen

Next
Next

“Homo Cooperativus” – Die internationalen Beziehungen neu denken